Leseförderung – klingt furchtbar sperrig und hat ein erklärtes Ziel: Kinder und Jugendliche zum Lesen zu bringen. Die Ansätze, die dahin führen, sind so unterschiedlich wie die Zielgruppen selbst. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum Beispiel veranstaltet seit vielen Jahrzehnten den Vorlesewettbewerb, bei dem Kinder selbst zu Vorlesern werden. Das Erstaunliche daran ist, dass häufig auch Kinder gewinnen, die sich aus Büchern vorher nicht soviel gemacht hatten, dann aber feststellen, dass ihnen das Vorlesen sehr liegt.
Nicht wenige Verlage haben Mitmachportale, bei denen Jugendliche gemeinsam mit Autoren an Texten schreiben. Es gibt Blogs, geschrieben von Jugendlichen für Jugendliche, oder Poetry-Slam-Workshops von Wortakrobaten wie Sven Kamin an deutschen Schulen.
Die Buchpaten setzen früh beim Vorlesen im Elternhaus an und beziehen Eltern und Kinder gleichermaßen ein. Auch hier ist der Kernmoment des Ganzen, die Hauptakteure aktiv werden zu lassen, damit sie miteinander und mit den Büchern in Kontakt kommen. Je früher das im Leben von Kindern geschieht, desto besser – und wenn die Eltern mit im Boot sind, natürlich umso mehr. Nur so erfahren sie, was in Büchern drin ist und dass sie für jeden da sind.
Darin liegt für mich das Grundverständnis von Leseförderung. Nicht so sehr in dem elitären Wunsch, dass am Ende alle mal Goethe oder Dürrenmatt gelesen haben sollten. Klar wäre es schön, wenn wir alle Hochliteratur genießen könnten. Tun wir aber nicht. Jeder hat andere Vorlieben, und ein zu großer Teil von Kindern und Jugendlichen hat nicht die nötige Textkompetenz, um Texte für sich zu nutzen. Dabei brauchen wir sie ständig, nicht nur zur Unterhaltung, sondern um Berufe zu lernen, uns weiterzubilden und im Leben zurecht zu kommen. Wir brauchen die Kompetenz, nicht nur einzelne Worte lesen zu können, sondern uns den gesamten Text zu erschließen, ihn schnell auf Informationen zu scannen und Schlussfolgerungen aus ihm zu ziehen. Die erhalten wir am besten, indem wir lesen oder Sprache benutzen.
Gelungene Leseförderung besteht für mich darin, Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass Texte etwas mit ihnen zu tun haben. Sie müssen nur die richtigen für sich finden. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Das muss nicht unbedingt Literatur sein, sondern auch Zeitschriften, Fußballbücher, Sachbücher oder Gebrauchsanweisungen tun es. Denn je mehr wir überhaupt lesen, desto besser können wir es und desto öfter greifen wir auf Textmedien zurück.
Von Erwachsenen, die ungern lesen, höre ich oft, dass sie hohe Ansprüche an sich haben. Manche versuchen, jeden einzelnen Satz eines Buches genau aufzunehmen. Andere behandeln Bücher wie Heiligtümer und halten es für ein Sakrileg, Seiten zu knicken. Vor lauter Hochachtung benutzen sie sie gar nicht. Wieder andere erwarten von sich, alle Beschreibungen detailgenau vor ihrem geistigen Auge zu sehen.
All das kann man natürlich machen und es mag innerliche Aufschreie geben, wenn ich mich hier für das Knicken von Buchseiten ausspreche. Was ich aber meine, ist, dass jeder die Bücher finden sollte, die zu ihm passen und für sich entscheiden sollte, wie er sie nutzen möchte. Es sind Gebrauchsgegenstände, sie wurden auf Papier gedruckt, damit wir sie lesen. Gern gelesene Bücher zerfleddern, das ist wie mit der Lieblingshose. Es gibt keine Textpolizei, die prüft, ob man sich das Zimmer, das der Autor beschreibt, richtig vorstellt. Man kann Bücher schnell lesen oder langsam, es gibt unterhaltende und schwer verdauliche Texte. Und es gibt durchaus Streit darüber, was ein gutes Buch ist und was nicht – sogar in der Nobelpreiskommission. Darüber darf gern gesprochen werden – in der Leseförderung und auch zu Hause, mit dem Papa, auf dem Sofa, über seinen Lieblingstext.
Text: Irina Kessler
Für zwölf Wochen sind Irina und Edda von der Textagentur Kessler & Eckhardt zu Gast bei den Buchpaten. Beide texten, lektorieren und bloggen was das Zeug hält unter: www.abenteuerspielplatz.agency.