Eintauchen in die Entstehung eines Bilderbuchs mit Jörg Mühle

Wie die Bilder in die Bücher kommen

Habt ihr euch eigentlich mal gefragt, wie die Bilder in die Bücher kommen und wer die macht? Denn Bücher wachsen ja bekanntlich nicht an Bäumen und die Ideen dazu fallen nicht vom Himmel. Dahinter steckt harte Arbeit, viel Hirnschmalz und natürlich eine gehörige Portion Kreativität. Wir haben uns mal umgehört unter den Bildermachern und jemanden gefunden, der sich richtig gut mit dem Thema auskennt.

Jörg Mühle ist freier Illustrator und Teil der labor Ateliergemeinschaft in Frankfurt am Main. Er macht wunderschöne Illustrationen für Verlage wie Beltz & Gelberg, Moritz, Klett Kinderbuch, Carlsen, Hanser und Randomhouse sowie eigene Bücher.

Und er hat sich die Zeit genommen, uns ein bisschen was darüber zu erzählen, wie Bilder in Bücher kommen, was ihn inspiriert und wo es auch mal hakt beim Büchermachen.

Erzählen Sie uns kurz, wie ein Buch entsteht, an dem Sie mitarbeiten? Wie läuft Ihre Arbeit mit den Verlagen ab?

Ich habe 15 Jahre ausschließlich als Illustrator gearbeitet und das läuft so: Verlage bieten mir Texte an, zu denen ich die Illustrationen mache. Wir vereinbaren die Rahmenbedingungen – Honorar, Abgabetermin, Format und Anzahl der Illustrationen – und anschließend arbeite ich relativ unabhängig an den Bildern.

Das Cover wird abgestimmt und ich mache Skizzen dafür. Sie werden umgearbeitet oder freigegeben, vielleicht gibt es Farbvarianten und schließlich eine Reinzeichnung.

Bei Innenillustrationen habe ich in der Regel große Freiheit. 

Arbeiten Sie mit den Textern zusammen oder sind das voneinander unabhängige Arbeitsschritte – Buch-Illustrationen und Buch-Texte?

Die Autoren der Texte werden nur in sehr seltenen Ausnahmefällen einbezogen. Manche habe ich (später) kennengelernt, viele nicht. 

Kommt es vor, dass Sie mit Ihren Ideen an Verlage herantreten? 

Vor ein paar Jahren habe ich mich entschieden, eine meiner eigenen Buchideen einem Verlag anzubieten. Das hatte ich bisher immer vor mir hergeschoben, doch nach der Geburt meiner Tochter wollte ich es endlich probieren. Nun hatte ich großen Respekt vor dem Schreiben, aber auch vor all der anderen Arbeit, die mit der Konzeption eines Buches verbunden ist.
Darum habe ich mich bei meinem ersten Mal ganz bewusst für ein möglichst kleines, einfaches Buch entschieden – die Hürde sollte möglichst niedrig sein. Ich wählte eine Idee zu einem Pappbilderbuch, die ich schon lange in der berühmten Schublade hatte. Meine Tochter war genau im richtigen Alter, alles passte wunderbar.
Die Arbeit an diesem ersten eigenen Buch „Nur noch kurz die Ohren kraulen“ war so befriedigend, dass ich mich dazu entschied, mehr eigene Bücher zu schreiben. Es folgten zwei Fortsetzungen und gerade erscheint mein erstes Bilderbuch „Zwei für mich, einer für dich“, ebenso wie die anderen, im Moritz Verlag, Frankfurt.

Wenn die Idee steht, wie geht’s dann weiter bis zum fertigen Buch? Können Sie uns das zusammenfassen? 

Ich habe keine Routine bei der Umsetzung eigener Ideen. Immer mal wieder habe ich Buchideen oder Bruchteile von Ideen, die notiere ich. Dann habe ich viele Zweifel und finde alles schwach. Allerdings gibt es ein paar Ideen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Der erste Schritt ist nun vielleicht der entscheidende: Die vage Idee muss so weit vorangetrieben werden, bis sie funktioniert. Ich reiße mich zusammen und mache mich an die Schwerstarbeit. 

Ich zeichne ein grobes Storyboard, arbeite am Konzept, am Text, am Ton, am Rhythmus des Buches. Die Bilder spielen eine untergeordnete Rolle. Sie sind sehr grob, interessieren mich zu diesem Zeitpunkt kaum. Das Ergebnis wird dem Verlag vorgestellt. Wenn es gefällt, werden die Rahmenbedingungen vereinbart: Erscheinungstermin, Format, Seitenanzahl und so weiter.

Danach folgen die Textarbeit und das Feilen am Storyboard. Wenn alles steht, werden die Illustrationen ausgearbeitet. 

Wie sieht der Entstehungsprozess einer Illustrationsarbeit aus – von Anfang bis Ende? Ist er immer gleich oder gibt es je nach Auftrag unterschiedliche Herangehensweisen?

Ich mache einen großen Teil der Zeichenarbeit mit Bleistift auf Papier. Oft brauche ich ein paar Tage, um in ein neues Projekt hineinzukommen. Ich lese das Manuskript, kritzele erste Assoziationen, recherchiere Details im Internet, versuche mich an den Hauptfiguren. Im nächsten Durchgang mache ich sehr kleine, sehr grobe Skizzen aller Bilder. Danach wird der Rhythmus überprüft (große Bilder, kleine, volle, leere etc) und die Skizzen werden korrigiert und überarbeitet. 

Schließlich scanne ich alles ein und bringe meine winzigen Skizzen ins richtige Format. Die Ausdrucke davon überarbeite ich – bin ich mit ihnen zufrieden, pause ich sie am Leuchttisch durch. 

Die fertigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen scanne ich wieder ein. Oft setze ich sie aus mehreren Teilen zusammen, die ich einzeln gezeichnet habe. Die montiere und koloriere ich dann digital im Photoshop – und fertig! Die Vorgehensweise ist immer gleich. 

Damit ich mich nicht zu sehr langweile, probiere ich beim Reinzeichnen (also dem Durchpausen auf dem Leuchttisch) manchmal neue Techniken aus, verwende Tuschefedern, Pinsel oder Buntstifte.

Allein mein letztes Bilderbuch („Zwei für mich“) habe ich zum ersten Mal nicht am Rechner koloriert. Das war sehr aufregend!

Was reizt Sie am Medium Bilderbuch? Warum illustrieren Sie vor allem für Kinder?

Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Keine Ahnung. Es macht mir Spaß.

Was inspiriert Sie? 

Das ist sehr schwer zu sagen. Alles Mögliche, tendenziell eher Unscheinbares, Unauffälliges, Details. Aber natürlich auch das Übliche: Fernreisen und Buchmessen, andere Illustratoren und freie Künstler. Bücher, Filme. Doch auch da sind es meist nur Momente, Geistesblitze, die etwas auslösen. 

Wie kommen Sie zu Ihren Ideen oder die Ideen zu Ihnen? Müssen Sie manchmal tief danach graben oder sprudeln die eher so heraus?  

Ich habe viele Ideen. Die sprudeln. Doch Ideen sind vage, und sehr viele von denen, die ich habe, sind leider einfach nicht besonders gut. Die Arbeit besteht darin, sie zu sortieren und mich zu entscheiden, welche ich verfolge und welche ich fallen lasse. Und dann schließlich und vor allem so lange an ihnen zu sägen, zu raspeln und zu feilen, bis sie rund sind.

Muss man nahe an Kindern sein, um für sie zu illustrieren? Oder sind Sie nie weiter weggewesen?  

Ich habe 15 Jahre Kinderbücher illustriert, ohne Kontakt zu Kindern zu haben. 

Meine Leidenschaft galt viel mehr Kinderbüchern (und vor allen Dingen Comics). Ich habe nie aufgehört, sie zu lieben und zu lesen. Doch ich befürchte, der kindliche Leser war mir (zumindest bis zur Geburt meiner Tochter) nicht so wichtig. Ich ging davon aus, dass Kinder (so wie Erwachsene auch) unterschiedliche Geschmäcker haben. Und da ich die nicht kannte und man sowieso nichts machen kann, was allen gefällt, ging es mir in erster Linie darum, Illustrationen zu machen, die mir gefallen. So, nun ist es raus. Über das Kind in mir kann ich wenig sagen, das sollen andere beurteilen. 


Die erwähnten Titel von Jörg Mühle sind alle im Moritz Verlag, Frankfurt erschienen:

Nur noch kurz die Ohren kraulen?
Tupfst du noch die Tränen ab
Badetag für Hasenkind
Viele Grüße, deine Giraffe
Zwei für mich, einer für dich

Von Irina Kessler