Aus dem Kinderbuchladen Zürich

Würde ich auf eine einsame Insel versetzt und dürfte aus zwei Berufsgruppen je eine Person mitnehmen – ich müsste nicht lange nachdenken: eine Hebamme und eine Buchhändlerin/einen Buchhändler. Ich würde die Nerven verlieren, die Hebamme würde sie behalten und die Buchhändlerin/der Buchhändler würde uns dann eine Geschichte erzählen.

Zufällig will ich heute aber nicht stranden – dafür aber viel erfahren. Und zwar über Eltern und deren Bucheinkaufsverhalten, über Glitzerbücher, Ästhetik versus Masse und den heutigen Bilderbuchmarkt. Wie gut, dass es Buchhändler gibt, mit denen man nicht nur sehr gut auf einer einsamen Insel festsitzen kann – sondern die auch noch sehr viel wissen: über Bücher, Leser, Eltern, Kinder und das Leben im Allgemeinen. Und so mache ich mich auf den Weg ins Zürcher Niederdorf, wo man den Kinderbuchladen findet. Hier wartet schon Marion Arnold, die sich dankenswerter Weise Zeit genommen hat. Beim Gespräch ebenfalls teilnehmend ist meine kleine Tochter Magali, die zwar im Kinderwagen liegt und schlafen soll, stattdessen aber die gelbe Denkermütze aufgesetzt hat und lautstark miterzählt.

Gibt es eigentlich schlechte Bücher, will ich von Frau Arnold wissen. Ich meine: die Buchhandlungen sind voll – da liegt ja der Verdacht nahe, dass schon auch ziemlicher Käse dabeisein wird. Nein, antwortet mir Frau Arnold, schlechte Bücher gäbe es nicht. Aber Bücher, die weniger nachhaltig sind als andere. Ich denke an die pink glitzernden Pinzessinnen-Bücher, die meine Tochter immer so begeistert beäugt und gegen die ich mich mit ganzem Körpereinsatz wehre. Solche Bücher, erklärt sie mir, würden sich die Kinder gerne mal aussuchen, sogar durchaus auch zu Recht – die würden dann nach mehrmaligem Anschauen aber oft genauso leise wieder verschwinden. Nachhaltige Bücher hingegen würden zu Freunden werden, die einen über lange Zeit begleiten. Das mache aber die weniger nachhaltigen Bücher noch lange nicht zu schlechten Büchern. Eine eigene Ästhetik und einen eigenen Geschmack lernt man schließlich dadurch, dass man Dinge ausprobiert und Erfahrungen sammelt. Selbst solche mit viel Glitzer!

Ob denn oft die Kinder selbst ihre Bücher aussuchen, frage ich. Nein, meint Frau Arnold, meistens sind es schon die Eltern. Und die würden die Kaufentscheidung auch in der Regel alleine treffen. Beratungen gebe es zwar schon – das seien dann aber eher die Großeltern oder Erzieher, die das Gespräch suchen würden. Eigentlich schade, finde ich. Lässt man sich auf Empfehlungen ein, dann trifft man bestimmt oft auch auf Bilder, Themen oder Geschichten, die man sich für das eigene Kind nicht ausgesucht hätte. Wahrscheinlich trauen wir unseren Kindern auch zu wenig zu, was Ästhetik, Themenvielfalt und auch Komplexität anbelangt – gerade, weil wir sie so gut kennen und meinen zu wissen, was ihnen gefällt oder (besonders perfide!) was doch mal schön/wertvoll/fördernd/fordernd/ansprechend für sein könnte.

Wie ist das denn mit dem Vorlesen an sich, will ich wissen. Gibt es Eltern, die sich Anregungen zum Vorlesen holen? Wie man mal anders vorlesen könnte, zum Beispiel. Das komme eigentlich nicht vor, meint Frau Arnold und erzählt mir, dass sie sich sicher sei, dass die Bücher, die den Laden verlassen, auch daheim gemeinsam gelesen werden würden. Schwieriger sei es bei den Leuten, die gar nicht erst in den Kinderbuchladen hereinkämen: Schwellenangst.

Sie würde das bei Angeboten rund ums Vorlesen merken, sobald man sie aus den Buchhandlungen raus- und mehr in die Lebensrealität vieler Familien hereinholt. Gemeinschaftszentren, Schulhäuser – bei Veranstaltungen an diesen Orten sei das Interesse bei Bildungsangeboten zum Thema Vorlesen sehr groß und viele Eltern motiviert, Inspirationen mitzunehmen und auch umzusetzen.

Ich denke nochmal über die Schwellenangst nach und darüber, dass es nicht ohne ist, in eine Buchhandlung hineinzugehen. Das Angebot ist immens. Hat man selber nun keinen Bezug zu Büchern ist es praktisch unmöglich, sich zu orientieren. Und ich persönlich finde es mutig, wenn man sich dann an eine Fachkraft wendet und sagt: Ich kenne mich nicht aus, brauche Hilfe. Zeigen Sie mir doch mal was!

Wir wollen ja immer Experten sein, wenn es um unsere

Kinder geht. Und dabei auch möglichst keine Schwächen zugeben.

Wie sie denn mit diesem riesigen Angebot umgehe, frage ich Frau Arnold. Das Angebot sei riesig, bestätigt sie. Der Markt würde von Trendthemen dominiert, die dann alle Verlage in unterschiedlichen Qualitäten mitmachen. Interessanterweise würde das dazu führen, dass manche Themen zeitweise fast völlig verschwinden, obwohl es die Nachfrage geben würde. Was so ein Trendthema derzeit sei, will ich wissen. Bienen, antwortet sie mir und wir müssen beide lachen. Das Trend-auslösende Bienen-Buch liegt nämlich bei mir daheim auf dem Buchstapel neben dem Sofa und keiner will es anschauen – außer mir. Und ich will es anschauen, weil ich will, dass meine Kinder es endlich toll finden. So können Trends im Markt eben auch entstehen.

Wie das denn mit Masse versus Qualität im derzeitigen Markt sei? Frau Arnold erzählt, dass gerade in den letzten zwei Jahren einige neue Verlage auf den Markt getreten seien, die sehr hochwertige und ästhetisch anspruchsvolle Bücher publizieren. Kleine Gestalten nennt sie als Beispiel und den Laurence King Verlag. Sie stelle fest, dass es eigentlich immer mehr die weniger nachhaltigen Bücher seien, die sich schwertun. Und mehr Eltern das anspruchsvolle Bilderbuch entdecken und fördern würden. Ob manche davon zu Bienen-Phänomenen werden, wissen wir beide nicht.

Vielen Dank an Marion Arnold vom Kinderbuchladen im Niederdorf/Zürich – für das schöne Gespräch, ihre Zeit und dafür, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt vom lautstark diskutierenden Säugling mit der gelben Denkermütze hat stören lassen.

Edda Eckhardt