Von Edda Eckhardt
Wir Eltern einigen uns naturgemäß ja nur auf wenig: Entwicklungsstufen, Impfungen, Schuhe mit Einlagen, Privatschulen und Erdnüssen – alles so Sachen, über die man sich lange streiten kann und jeder das Patentrezept kennt. Über das Vorlesen streiten wir uns allerdings nicht, denn die Vorzüge sind gemeinhin bekannt. Wer vorliest, schafft seinen Kindern eine Basis für so ziemlich alles, trägt zum akademischen Erfolg bei, verbringt “quality time” mit ihnen und kommt auch noch sehr elegant drum herum, in dieser Zeit so tun zu müssen, als sei man ein Pferd oder das Baby. Ein echter Gewinn für alle Seiten!
Was aber ist es, das das Vorlesen so wertvoll macht? Und zwar nicht nur für unsere Kinder, sondern vor allem für uns als Eltern, Großeltern, Erzieher. Ich behaupte, dass der wirkliche Wert und Zauber darin liegt, dass wir gemeinsam mit den uns anvertrauten Kindern in ferne Welten reisen, Abenteuer erleben und uns auf Ebenen begegnen, die frei sind von Machtkämpfen und dem ganzen alltäglichen Zwist. Dass wir uns als Menschen gegenüberstehen, auf Augenhöhe und Gefühle, Ängste, Lust gleichviel wiegen. Die Magie des Lesens resultiert aus der Gemeinsamkeit. Und wer die Buchstaben decodiert, ist doch schlussendlich egal.
Spricht man mit denen, die regelmäßig und sehr reflektiert gemeinsam mit Kindern lesen, dann stellt man fest, dass die Begegnung mit- und über einem Text weit über das eigentliche Lesen hinausgeht. Bei den Buchpaten ist es das Dialogische Lesen, das Kinder aus passiven Zuhörern in Piloten von fliegenden Geschichten-Teppichen verwandelt. Das Buch wird hierbei als Ausgangspunkt eines Dialogs zwischen Erwachsenen und Kindern genommen und schafft Anregungen, Ansporn und Anlass für Gespräche.
Das Kinderliteraturhaus LesArt in Berlin arbeitet stark mit dem sinnlichen Umgang mit Texten und konzipiert Lesungskonzepte, bei denen mitunter nicht ein einziges Wort vorgelesen wird .. die Kinder aber hinterher gesamte Bücher erlebt haben.
Wir als ratio-getriebene Große verlassen uns zu stark darauf, dass es schon reichen werde, wenn wir uns hinsetzen und lesen. Dabei verpassen wir dabei eigentlich das Beste: Wenn aus Zuhörern Akteure werden, wenn sich passiv in aktiv verwandelt und wir in die Herzen, Seelen, Träume und Ängste von Kindern eintreten dürfen.
Nun muss man sich nicht gleich auf einem Besenstiel sitzend von der heimischen Couch stürzen, um den Zauber der Harry Potter-Bücher zu vermitteln. Aber man kann sich überlegen, wie Bertie Botts Popel-Bohnen eigentlich wirklich schmecken. Und was man selber gerne aus dem Sprechenden Hut ziehen möchte.
Texte sind immer Tore und ausnahmslos führen sie einen irgendwohin. Sie sind der Ausgangspunkt einer Reise – aber nicht zwingend auch der Schlußpunkt.
“We owe it to each other to tell stories.” schreibt Neil Gaiman, ein wunderbarer Geschichtenerzähler. Geben wir doch den Büchern Raum, ihren Zauber ganz entfalten zu können – und uns, ihm gemeinsam zu erliegen.
Für zwölf Wochen sind Irina und Edda von der Textagentur Kessler & Eckhardt zu Gast bei den Buchpaten. Beide texten, lektorieren und bloggen was das Zeug hält unter: www.abenteuerspielplatz.agency.