Dialogisches Lesen – was ist das eigentlich?

Wir von den BUCHPATEN erzählen ja gerne von unseren Mitmachlesungen. Wie schön es ist, wenn dreissig oder mehr Kinder gebannt einer Geschichte folgen, wie erfüllend es ist, ihre Bilder anzusehen und zu merken, welch tiefen Eindruck die Geschichte hinterlassen hat. Diese Erfahrungen lassen uns jedes Mal mit noch mehr Freude die nächste Lesung anpacken. Doch was machen wir eigentlich genau an den Mitmachlesungen? Lesen? Ja klar. Aber was heisst denn das?

Vorleser, die unsere Mitmachlesungen leiten, werden ausnahmslos von den BUCHPATEN im dialogischen Lesen geschult. Dialogisches Lesen ist eine Technik des Erzählens, die das Kind dazu ermutigt, sich aktiv ins Geschehen einzubringen. Dadurch wird eine steilere Lernkurve in der Sprach- und Sprechkompetenz des Kinds erzielt. Dialogisches Lesen ist von Anfang an viel abwechslungsreicher als traditionelles Erzählen. Normalerweise beginnt ein Erzähler etwa mit: «Ich erzähle euch nun eine Geschichte über…» Wenn die Geschichte dann interessant klingt, hört das Kind hin, ansonsten begnügt es sich damit, einfach still dort zu sitzen und abzuwarten. Doch das wollen wir nicht! Eine Geschichte wird schliesslich erst durch die Fantasie des Kinds so richtig lebendig. Um diese Fantasie anzusprechen, könnte man stattdessen so beginnen, wie es Kristina Lemke bei der Geschichte «Schneebären lügen nie» getan hat: «Habt ihr eigentlich schon mal gelogen? Nein? Also, ich habe schon gelogen!» Das Kind ist, weil es etwas gefragt worden ist, gleich dabei. Es möchte jetzt wissen, was es denn mit dem Lügen auf sich hat!

Im Verlauf der Geschichte stellt die Vorleserin immer mehr solche Fragen, die sich auf das Gehörte und Gesehene beziehen. Zum Beispiel als die kleine Marie einen riesengrossen Kühlschrank mitten im Wald findet: «Was könnte wohl in so einem grossen Kühlschrank stecken?» Das Kind merkt darauf, dass es ernstgenommen wird und seine Eingebung ausdrücklich erwünscht ist. Je mehr es dann antwortet und kommentiert, umso mehr zieht sich die Vorleserin zurück. Das Kind wird sozusagen zum Erzähler der Geschichte. Schliesslich beschränkt sich die Vorleserin fast nur noch darauf, die Kommentare des Kindes umzuformulieren oder zu ergänzen. Diese Art zu wiederholen, was das Kind gesagt hat, weist ihm neues Vokabular und Satzstrukturen auf, die es in späteren Inputs dann auch anwenden und verfestigen kann.

Auch der Bezug auf das eigene Leben des Kindes spielt eine wichtige Rolle. Die Vorleserin könnte etwa sagen: «Seht ihr, wie die kleine Marie fliegt? Seid ihr denn auch schon geflogen? Wohin? Und wie war es?» So wird eine Verbindung zwischen der Geschichte und der realen Welt hergestellt. Die Bilderbücher erhalten einen Stellenwert, der über blosser Unterhaltung steht. Sie sind nun ebenso eine Unterstützung in der Reflexion des Kinds.

Es ist erstaunlich, wie mitteilsam ein Kind, das normalerweise selten spricht, durch dialogisches Lesen werden kann. Noch erstaunlicher sind die Fortschritte, die bereits nach ein oder zwei Mitmachlesungen eintreten. Das Kind wird selbstbewusster und gewandter im Umgang mit der Sprache und drängt immer mehr darauf sich mitzuteilen. Und wenn es dann auch nicht mehr aufhören kann, ausschweifend und begeistert von der Geschichte zu erzählen, dann haben wir von den BUCHPATEN unsere Aufgabe eindeutig erfüllt.